Sehr geehrte akademische Community in Deutschland, Österreich und der Schweiz,
nach der Vorstellung der DACH Academic Board Arbeitsgruppe “Lehrmethoden” möchte ich Ihnen nun die Arbeitsgruppe “Technologie”, die von Prof. Dr. Stefan Stöckler, Prof. Sebastien Gard und Prof. Dr. Sebastian Baltes geleitet wird, vorstellen. Die drei Experten haben wir zu ihrer Arbeit, Motivation und Plänen für die Arbeitsgruppe befragt.
Viel Spass beim Lesen und gehen Sie gerne bei Nachfragen direkt auf die drei Kollegen zu.
André Biener (Director, SAP University Alliances)
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André Biener (AB): “Hallo Stefan, Sebastien und Sebastian. Könnt Ihr Euch bitte kurz vorstellen und erklären, welche spezifischen Ziele Ihr in Eurer Arbeitsgruppe im DACH Academic Board verfolgt?”
Prof. Dr. Stefan Stöckler (SS): “Gemeinsam mit mir arbeiten im Kern-Team dieses Bereichs noch
Sébastien Gard von der HES-SO Valais-Wallis, Hochschule für angewandte Wissenschaften und Kunst (Schweiz) und Sebastian Baltes von der Universität Bayreuth (Deutschland).
Wichtig ist uns, die vorhandenen Technologien über die gesamte Automatisierungspyramide, also von IoT bis zum ERP-System, in unterschiedlichen Kombinationen und vor allem im praktischen Einsatz zu zeigen und zu lehren. An der Ostschweizer Fachhochschule haben wir z.B. eine Smart Factory aufgebaut, die ein reales Abbild eines klassischen Unternehmens mit mehreren Standorten und Produktionslinien ist. Ein weiterer Ausbau in Verbindung mit innovativen Technologien sowie laufender Beobachtung von sehr differenzierten Nachhaltigkeitsparametern ist geplant und soll unsere Studierenden fit für die künftige Praxis in einer VUCA-Welt machen.”
Prof. Dr. Stefan Stöckler
Prof. Sebastien Gard (SG): “Ein Hauptziel unserer Arbeitsgruppe besteht darin, der SAP University Alliances Community hervorragendes Lehrmaterial, Anwendungsfälle, Lehrpläne und Zugang zu neuen SAP-Produkten bereitzustellen, um Dozenten bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Im Gegensatz zu anderen Arbeitsgruppen, die sich mehr auf die geschäftlichen Aspekte konzentrieren, möchten wir tiefer auf die technischen Aspekte verschiedener Produkte und Technologien eingehen. ”
Prof. Dr. Sebastian Baltes (SB): “Eine kritische Stimme zu sein, die den Einsatz von SAP-Technologien in der Softwareentwicklung exploriert, aber auch klar auf Lücken und Unzulänglichkeiten hinweist. Mir persönlich wäre es auch wichtig neben der Lehre das Thema Forschung im SAP Academic Board stärker zu vertreten. ”
AB: “Eure Arbeitsgruppe konzentriert sich auf Technologie. Was ist Eurer Meinung nach der wichtigste Schwerpunkt in diesem Bereich und warum?”
SS: “Wir sehen den Schwerpunkt dieses Themas in zwei Richtungen. Einerseits kommen immer mehr neue Technologien rund um das ERP-Kernsystem zum Einsatz. Darauf hat ja SAP mit der Business Technology Platform (SAP BTP) schon weitsichtig reagiert. D.h. es ist wichtig, dass Themen wie No/Low-Code ebenso wie Pro-Code Programmierung, künstliche Intelligenz, Data Analytics oder Systemintegration adressiert werden. Sie stellen unter anderem eine wichtige Basis für die Digitale Transformation hin zu Smart Factorys dar. Andererseits wollen wir genau in diesem Thema, Smart Factorys und Industrie 4.0, das Querschnittsthema „Nachhaltigkeitsmanagement“ verankern und stärken. Dazu ist ein umfassendes Wissen um die Möglichkeiten, Stärken und Schwächen der einzelnen Technologien notwendig. ”
SG: “Heute spricht jeder über KI (insbesondere LLMs), daher ist dies offensichtlich ein wichtiger Schwerpunkt. Es besteht jedoch ein erheblicher Unterschied zwischen dem Erstellen einer KI, dem Anwenden von ML-Algorithmen oder dem bloßen Einbetten bestehender KI-Technologie in ein Produkt.
In Anbetracht der Zahl der Studierenden, die mit SAP-Produkten in Berührung kommen, ist die Verwendung der Technologie relevanter. Daher ist es sinnvoller, unsere Bemühungen auf SAP BTP zu konzentrieren, da dies die Verwendung einer Vielzahl neuer Technologien, Dienste und Produkte in den verschiedenen Lehrveranstaltungen ermöglicht.”
Prof. Sebastien Gard
SB: “Die Arbeitsgruppe „Technologie“ deckt unterschiedliche Aspekte ab. Mein persönlicher Schwerpunkt ist die Softwareentwicklung in der Cloud. Mit der Business Technology Platform (BTP) hat die SAP in den vergangenen Jahren gute Fortschritte in diesem Bereich gemacht, aber gleichzeitig sehe ich auch ungenutzte Potentiale im Bereich Automatisierung; „ClickOps“ ist leider noch recht verbreitet. Auch das Thema Developer Experience ist mir wichtig. Hier stellt das SAP Cloud Application Programming Model (CAP) interessante Konzepte bereit. Ich freue mich, dass die SAP schon lange im Bereich Open-Source aktiv ist und hoffe, dass zukünftig auch CAP als Open-Source-Projekt verfügbar sein wird. Dies wäre für mich eine Voraussetzung für den Einsatz in der Lehre. ”
AB: “Welche Technologien wie Künstliche Intelligenz oder Automatisierung nutzt Ihr in Euren Forschungsprojekten, um Geschäftsprozesse zu optimieren?”
SS: “In der aktuellen Forschung verbinden wir Technologien wie Process Mining, Process Simulation mit KI- und Data-Analytics-Methoden, um ein prozess- und datenbasiertes Nachhaltigkeitsmanagement zu etablieren. Daher kommen um diesen Kern auch weitere Technologien zum Einsatz, um die notwendigen Basisdaten aus den unterschiedlichen System-Ebenen zu ermitteln. ”
SG:“Ich persönlich verwende in meiner täglichen Arbeit robotergestützte Prozessautomatisierung (und heutzutage „intelligente“ RPA) sowie natürlich KI-Assistenten. Die Produktivitätssteigerung durch diese Tools ist ziemlich beeindruckend.”
SB: “Mein Bereich ist Software Engineering, daher optimiere ich in meiner Forschung primär Softwareentwicklungsprozesse. Hier gibt es noch große Potentiale zur Automatisierung – und das ganz ohne künstliche Intelligenz. Aber natürlich evaluieren wir in meiner Gruppe auch die Potentiale von künstlicher Intelligenz, allerdings immer mit einem breiten Blick auf die Entwicklungsprozesse. Sprich: Wir evaluieren nicht nur die Generierung von Quellcode, sondern auch frühere Prozessschritte wie das Requirements Engineering.”
Prof. Dr. Sebastian Baltes
AB: “Gibt es aktuelle Projekte oder Studien in Eurer Arbeitsgruppe, die besonders bahnbrechend oder innovativ sind?”
SS: “Ich denke der hier geschilderte Ansatz von einem holistischen, system-immanenten und laufenden Nachhaltigkeitsmanagement ist durchaus innovativ und stellt eine klare Trendwende vom – oft als sehr aufwändig beschriebenen – CSR-Reporting hin zu einem ESG-Controlling dar. Diese Themen werden jedoch aktuell nicht in der Arbeitsgruppe, sondern an der Ostschweizer Fachhochschule gemeinsam mit der Hochschule Harz, vertreten durch den Kollegen Hans-Jürgen Scheruhn, der die Arbeitsgruppe „Business Process Management“ leitet, vorangetrieben.”
SG: “Die von Stefan entwickelte SmartFactory ist ein hervorragendes Beispiel für ein komplexes Projekt, das viele verschiedene Spitzentechnologien im Bereich Industrie 4.0 umfasst und integriert. ”
SB: “Mein Doktorvater hat immer gesagt: „Nur Hühner gackern über ungelegte Eier.“ Daher möchte ich weniger über unsere laufenden Projekte sprechen als über die bereits publizierten Arbeiten. Hier würde ich insbesondere unsere Forschung in Zusammenarbeit mit Kollegen von SAP HANA hervorheben. Wir haben damit zu seinem besseren Verständnis von möglichen Ineffizienzen bei der Ausführung von Testfällen beigetragen und es geschafft, sowohl den Entwicklungsprozess von SAP HANA ein kleines Stück zu verbessern als auch die Ergebnisse akademisch gut zu publizieren. ”
AB: “Wie integriert Ihr die Erkenntnisse aus Eurer Forschung in die Lehrmethoden, und wie profitieren die Studierenden davon?”
SS: “Die Forschungsergebnisse werden so schnell wie möglich auch in der SmartFactory@OST nachgestellt, damit die Studierenden dort ein State-of-the-Art vorfinden und anhand dieser realen Umgebung geschult werden können. Hier sind wir noch sehr auf die Unterstützung von SAP angewiesen, da viele der neuen Technologien nur bedingt für die Hochschulen zugänglich sind und vor allem noch nicht in spezifischen, individuellen Umgebungen genutzt werden können. Das Lehrmaterial macht die Themen jedoch nur dann „begreifbar“, wenn anhand bestehender Maschinen und Produkten sowie spezifischen Prozessen und Daten gelernt und getestet werden kann.”
SG: “Wir versuchen immer, unseren Unterricht in der Praxis zu verankern. Alle aktuellen Projekte sowie die guten und schlechten Erfahrungen aus der Forschung sind daher eine hervorragende Inspirationsquelle und ein hervorragendes Material für die Vorbereitung der verschiedenen Vorlesungen. Wir versuchen auch immer, diese Beispiele in das Lehrmaterial einzubringen, das wir der UA-Community zur Verfügung stellen.”
SB: “In meinem Forschungsfeld Empirical Software Engineering gibt es beispielsweise die Möglichkeit, dass Studierende selbst kleine Studien mit Open-Source-Projekten durchführen, die sie dann im Rahmen einer Abschlussarbeit vertiefen können. Wir haben es schon häufiger geschafft, dass Studierende nach der Abgabe ihrer Abschlussarbeiten so erste Erfahrung im akademischen Publizieren sammeln konnten. In meinen Vorlesungen versuche ich auch immer den aktuellen Forschungsstand zusammenzufassen und auf aktuelle Forschungsergebnisse zu verweisen. ”
AB: “Welche Rolle spielt das Thema Technologie in der interdisziplinären Lehre und Forschung an Euren akademischen Einrichtungen?”
SS: “Das ist eine interessante Frage, die genau auf die Kernidee unserer SmartFactory@OST abzielt. Seit über drei Jahren bauen wir diese Lern- und künftige Forschungsumgebung auf, um Studierende aus unterschiedlichen Fachbereichen am selben Objekt zu lehren. So können Betriebsökonominnen und -ökonomen z.B. die Produkt- oder Produktionskosten für unsere real existierenden Artikel berechnen, während die Wirtschaftsinformatikerinnen und -informatiker teilweise gemeinsam mit dem Bereich Wirtschaftsingenieurwesen die Prozesse definieren und die Systeme konfigurieren und integrieren. Mechatronik, Werkstoffkunde, Maschinenbau und Produktionstechnik sind weitere Fachbereiche, die von dieser Anlage profitieren.”
SG: “Da meine Universität im Bereich Wirtschaft angesiedelt ist, wird die Technologie als Mittel zum Erreichen bestimmter Ziele betrachtet und nicht als Selbstzweck. Per Definition müssen die Studierenden verstehen, wie sie die Technologie in ihrer eigenen Disziplin und Forschung nutzen und anwenden können.”
SB: “Eine sehr große! Die Universität Bayreuth setzt stark auf Interdisziplinarität, insbesondere in der angewandten KI-Forschung. Auch im Software Engineering argumentiere ich schon lange, dass die wirklich interessanten und relevanten Probleme oft nur interdisziplinär gelöst werden können. ”
AB: “Was sind die größten Herausforderungen im Bereich Technologien in den nächsten fünf Jahren, und wie plant Eure Arbeitsgruppe, diese zu bewältigen?”
SS: “Eine wesentliche Herausforderung ist sicher der schnelle technologische Wandel, der ins Lehr- und Forschungsumfeld einbezogen werden muss. Eine engere Kooperation mit internen Entwicklungsgruppen und Expertinnen und Experten der SAP wäre hier sicher ein großer Gewinn, um Hochschulen und Universitäten auf dem aktuellen Stand zu halten. Der Aufwand für die Wissenserschließung und anschließende Umsetzung in Lehrmaterial wir oft unterschätzt. ”
SG: “Die Technologie verbessert und verändert sich heute extrem schnell. Die größte Herausforderung besteht darin, herauszufinden, welche Technologie in 5 Jahren noch relevant sein wird. Der Grund dafür ist, dass zwischen dem Zeitpunkt, an dem wir uns für eine Technologie entscheiden, das neue Lehrmaterial vorbereiten, es an den verschiedenen Universitäten verbreiten und die Studenten ihre Abschlüsse machen, eine Technologie bereits veraltet oder irrelevant sein kann. An diesem Punkt müssen wir uns auch auf die von SAP selbst bereitgestellten Leitlinien verlassen, um herauszufinden, welche Technologie für den Unterricht sinnvoll ist.”
SB: “Die größte Herausforderung wird es sein, nach dem initialen GenAI-Hype die vielversprechenden von den unrealistischen Anwendungsfällen zu trennen und darauf hinzuarbeiten, mögliche Produktivitätsgewinne wissenschaftlich fundiert zu quantifizieren. ”
AB: “Welche Rolle spielen Kooperationen mit Unternehmen oder anderen Universitäten in Eurer Arbeit?”
SS: “Als Fachhochschule bieten wir Dienstleistungen an die Unternehmen in unserem Einzugsbereich, das ist eine großartige Möglichkeit einerseits die aktuelle Praxis zu erleben und andererseits innovative Lösungen in die Firmen zu bringen. Natürlich spielen spezielle Unternehmen auch eine große Rolle als Sponsoren für unsere SmartFactory@OST. So sind die Produktionsmaschinen für eine Hochschule nicht leistbar, wenn nicht großzügige Hersteller Unterstützung leisten. ”
SG: “Unternehmen sind eine unerschöpfliche Quelle für Anwendungsfälle und Präsentationen für die verschiedenen Vorlesungen. Studenten sind immer interessiert, wenn wir eine externe Person einladen, ein aktuelles, reales Projekt vorzustellen. Außerdem werden die meisten Bachelorarbeitsthemen in Zusammenarbeit mit Unternehmen erstellt. ”
SB: “Diese Kooperationen sind enorm wichtig und wertvoll. In fast allen Forschungsprojekten arbeiten wir mit Kolleginnen und Kollegen von anderen Universitäten oder aus Unternehmen zusammen. ”
AB: “Welche zukünftigen Projekte oder Initiativen planen Ihr in Eurer Arbeitsgruppe?”
SS: “Derzeit arbeiten wir vor allem daran, die Lehrumgebungen in den unterschiedlichen Implementierungen der einzelnen Hochschulen verfügbar zu machen. Die notwendige Systemintegrationen und die verschiedenen Lehrinhalte erfordern sehr spezifische Umgebungen. Dies muss entwickelt und der laufende Betrieb mittels Support abgesichert werden. Hier braucht es noch neue Strukturen und Lösungen. ”
SG: “Im Moment führe ich ein Pilotprojekt für einen neuen Lehrplan zur SAP BTP Integration Suite durch. Ein weiterer Bereich, der mich interessiert und für den Bedarf besteht, sind Low-Code/No-Code-Plattformen wie Build on BTP oder Mendix. ”
SB: “Mir wäre es ein Anliegen, Open Source und Cloud Native Softwareentwicklung noch stärker in den Fokus des SAP-Ökosystem zu rücken. ”